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27.09.2018

Es braucht endlich Resultate

Wirksamer Klimaschutz und sichere Stromversorgung Hand in Hand: Kirsty Gogan erklärt, wie das geht.

Es braucht endlich Resultate

Kirsty Gogan, Sie sind britische Wissenschaftlerin, Umweltschützerin und setzten sich für Kernenergie ein. Wie passt das alles zusammen?
Ich bin Mitgründerin und Geschäftsführerin der neuen Umweltorganisation  Energy for Humanity. Sie wurde mit Blick auf zwei grosse humanitäre und ökologische Herausforderungen dieses Jahrhunderts gegründet: Erstens sind die Treibhausgasemissionen drastisch zu reduzieren, um noch in unserer und der nächsten Generation einen katastrophalen Klimawandel zu verhindern. Und zweitens ist Milliarden von Menschen aus ihrer Armut zu helfen. Auch sie sollen die Lebensqualität erreichen, die für uns selbstverständlich ist. Beide Herausforderungen haben etwas gemeinsam: die Energieversorgung der Welt.
Ich war schon immer  Umweltaktivistin und früher gegen Kernenergie. Professor David MacKay und sein Buch „Sustainable Energy – Without the Hot Air“ änderten aber meine Einstellung. Es ist offensichtlich: die kostengünstigste und umweltfreundlichste Strategie zum Verhindern der schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels bis 2100 ist der Einsatz aller sauberen Energieoptionen — erneuerbarer wie auch nuklearer Energie.

Will darum die englische Regierung neue Kernkraftwerke bauen
Der Erhalt der Versorgungssicherheit hat dringende und unmittelbare Priorität.  Denn die englischen Kohle- und Kernkraftwerke nähern sich dem Ende ihrer Betriebsdauer. 30 Gigawatt bestehende Stromerzeugungskapazität wird um 2025 stillgelegt. Zugleich erwarten wir einen Anstieg des Strombedarfs, da England seinen Kohleverbrauch reduzieren will. Fast ein Drittel der Stromproduktion Englands entsteht heute noch aus Kohle.
Das britische Klimawandelgesetz von 2008 verpflichtet uns, die Treibhausgasemissionen bis 2050 um 80% gegenüber dem Stand von 1990 zu reduzieren.  Die drei wichtigsten politischen Parteien unterstützen dieses Engagement. Das unabhängige Komitee für Klimawandel hat empfohlen, den britischen Stromsektor bis 2030 weitgehend zu dekarbonisieren. Unser Ziel ist also, dass jede Kilowattstunde Strom zukünftig weniger als 100g CO2-Ausstoss verursacht (gegen 50g CO2 wäre ideal). Kernenergie ist Englands grösste nicht-fossile Energiequelle und wird von allen Parteien unterstützt. Auch die Liberaldemokraten gaben kürzlich ihren langjährigen Widerstand gegen Kernenergie  mit der Begründung auf, Kernenergie angesichts der Risiken des Klimawandels nicht mitzutragen, wäre rücksichtslos. Bau und Betrieb von Kernkraftwerken lohnen sich für England auch wirtschaftlich: Neue Infrastrukturen schaffen sozioökonomische  Vorteile und kurbeln die Leistungsfähigkeit der Industrie an. Es wird England ermöglichen, im weltweiten Kernenergiemarkt, der bis 2030 auf 1,5 Billionen Franken geschätzt wird, mitzuhalten.

Wie steht die Bevölkerung zu diesen Bauprojekten?
Meinungsumfragen zeigen, dass 66% der britischen Bevölkerung Kernenergie als Teil eines kohlenstoffarmen Strommix befürworten[i]. 45% der Leute sind für den Bau neuer KKW als Ersatz der bestehenden und 20% sind dagegen. Diese Akzeptanz ist in den letzten zehn Jahren um mehr als 10% gestiegen (35% im Jahr 2004.[ii]). Die geplanten 16 Gigawatt an fünf bestehenden Standorten werden eine neue Generation von Fachleuten, zehntausende von Stellen während des Baus und hunderte während der rund 60 Jahre dauernden Betriebsdauer jeder Anlage schaffen.

Wie stehen die Umweltorganisationen zu den Naubauprojekten?
Britische NGO’s (wie Friends of the Earth und Greenpeace) sind weiterhin gegen neue KKW. Einige gemässigte Gruppen (wie Green Alliance) sind noch skeptisch. Privat finden Führungsleute der meisten Umweltorganisationen, dass Kernenergie wohl neben den Erneuerbaren nötig sein wird, um den Klimawandel in Angriff zu nehmen, und dass diesbezügliche Bedenken übertrieben werden. Am Klimagipfel in Paris im Dezember riefen vier der weltweit angesehensten Klimaforscher zu einer rationalen, technologieneutralen Klimastrategie auf, die sich vom ideologischen Beharren auf dem Nur-Erneuerbare-Pfad löst. Man kann Appelle von Umweltorganisationen  zum raschen und wirksamen Vorgehen gegen den Klimawandel kaum ernst nehmen, wenn sie auf Vorbehalten beruhen und eine der wichtigsten Quellen CO2-freier Energie ausschliessen. Ich glaube, dass andauernder Widerstand gegen Kernenergie der Glaubwürdigkeit dieser Organisationen schadet.

Setzt England auch auf neue erneuerbare Energien?
Absolut. Unsere neue Strommarktreform unterstützt alle kohlenstoffarmen Technologien (Kernenergie, Erneuerbare und Kohlenstoffabscheidung). Sonnen- und Windenergie auf dem Festland haben sich dank bedeutenden Subventionen in den letzten Jahren beträchtlich entwickelt.  Die Strommarktreform bietet eben Entwicklern von kapitalintensiven, klimafreundlichen Stromerzeugungstechnologien Anreize – in Gebieten also, wo der Markt von selber nicht investieren würde. Der Markt würde eher in Gaskraftwerke investieren, da dort die Kapitalkosten tief sind. Und obwohl die Brennstoffkosten hoch und unstabil sind, können sie an die Kunden weitergegeben werden. CO2-arme Technologien wie Kernenergie und Erneuerbare aber funktionieren umgekehrt. Sie haben hohe Kapitalkosten und tiefe Betriebskosten. Deshalb sagte die Internationale Energieagentur, dass unsere Strommarktreform für den Übergang zu kohlenstoffarmer Energie und die dazu nötigen Investitionen essentiell ist und empfahl sie als Vorbild für andere Länder. Das Ziel ist, solche Investitionen weniger riskant zu machen, Preisstabilität für die Stromkonsumenten zu schaffen und den Investoren zu erlauben, ihre anfänglichen hohen Kapitalkosten wieder hereinzubekommen.

Was ist ihr grösstes Anliegen bezüglich unseres zukünftigen Umgangs mit Energie und speziell Strom?
Ein neuer globaler Ansatz ist dringend nötig. In 20 Jahren ist uns nicht der kleinste Knick im steilen Anstieg der Emissionskurve gelungen. Nun müssen wir uns auf Resultate konzentrieren, Ideologien beiseite legen und unparteiisch alle CO2-armen Stromerzeugungsoptionen verfolgen. Wir brauchen Stromsysteme, die auf die Bedürfnisse von 10 Milliarden Menschen skalierbar sind. In Industrienationen bietet Kernenergie den einzigen empirisch bewährten Weg dort hin. Und dies mit den kleinsten Auswirkungen auf die Biodiversität, bester Wirtschaftlichkeit und  Ausbaumöglichkeiten, die Kohle in wenigen Jahrzehnten verschwinden lassen könnten. Mit fortgeschrittenen Kernreaktoren liesse sich zudem der Atommüll von heute rezyklieren. 
Klimaforscher warnen, das Ziel, die Klimaerwärmung in diesem Jahrhundert auf unter 2C zu begrenzen, entgleitet uns. George Monbiot sagte: "Praktische Massnahmen, den Anstieg der globalen Emissionen zu verhindern, sind im Vergleich zur Grösse der Aufgabe sozusagen nicht-existent."  Diese Aufgabe ist so gross, dass nur eine kombinierte Strategie mit allen Clean-Energy-Optionen die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels bis 2100 verhindern kann. Alles andere ist ein Lotteriespiel mit unserem Klima und unserer Zukunft.

Kirsty Gogan ist unabhängige Energie- und Klimaberaterin der britischen Regierung sowie von Industrie, akedemischen Netzwerken und Non-Profit-Organisationen. Sie schuf die von Greenpeace begrüsste "Low Carbon Alliance" zwischen der Kernenergiebranche und jener Erneuerbarer Energien, der mehr als 1000 Unternehmen angehören. Kirsty Gogan leitet den partizipativen Dialog zwischen Öffentlichkeit und Regierung zu Englands KKW-Neubauprojekten, bei dem auch kernenergiekritische Organisationen konstruktiv eingebunden werden. Zudem ist sie Mutter und wissenschaftlich tätig an der Universität von Manchester.


[i] Synthesebericht des UK Energy Research Centers zur öffentlicen Akzeptanz

[ii] Umfrage der britischen Nuclear Industry Association