Ich wünsche mir einen Wandel in der Diskussionskultur
David Breitenmoser wurde im Frühsommer 2020 für seine Masterarbeit in Nuclear Engineering mit einer Medaille der ETH ausgezeichnet. Wer ist der junge Preisträger?
Herr Breitenmoser, wir gratulieren Ihnen ganz herzlich zu Ihrer Auszeichnung! Was haben Sie denn in Ihrer Masterarbeit in Nuclear Engineering erforscht?
In meiner Masterarbeit habe ich eine neue Methodologie zur automatischen Erkennung von speziellen Flussregimen , die sich in den Wärmetauschern von Druckwasserreaktoren bilden, entwickelt. Das Verständnis über die Dynamik dieser Flussregime ist essenziell für die Auslegung und den sicheren Betrieb von Kernkraftwerken.
Während man die Zweiphasenströmungen in Wärmetauschern heutiger Kernkraftwerke der Generationen II und III sehr gut versteht, ist über die Flussregime in Reaktoren der Generation IV, die derzeit entwickelt werden, leider noch relativ wenig bekannt. Dort werden u.a. helikale Wärmetauscher verwendet. Die Rohre in diesen Wärmetauschern sind ähnlich wie in der Doppelhelix der DNA gewunden. Das macht die Wärmeübertragung im Vergleich zu kommerziellen Wärmetauschern effizienter. In meiner Masterarbeit benutzte ich Röntgenstrahlung, um die verschiedenen Phasen in solchen helikalen Rohren sichtbar zu machen. Die gewonnen Daten verwendete ich dann, um fortgeschrittene Algorithmen mithilfe von maschinellem Lernen zu trainieren, damit diese dann die Flussregime automatisch erkennen. Die trainierten und validierten Modelle haben eine exzellente Erkennungsrate von über 98% und liefern damit einen wertvollen Beitrag zum besseren Verständnis von Zweiphasenströmungen in helikalen Rohren und zur Entwicklung von neuen Reaktoren.
Was hat Sie überhaupt dazu bewogen, Kerntechnik zu studieren?
Den ersten Kontakt zur Kerntechnik hatte ich am Gymnasium im Rahmen eines Physiklabors, wo wir die verschiedenen Arten der Radioaktivität und deren Detektion kennen lernten. Ich war sehr fasziniert, sowohl von der zugrundeliegenden Kern- und Teilchenphysik als auch von den diversen technischen Anwendungen in Strahlungsdetektoren über Röntgentomographie bis hin zu Kernkraftwerken. In der Maturaarbeit habe ich mich dann vertieft mit der Kernforschung und dem Kernwaffenprogramm der Schweiz auseinandergesetzt. Meine Resultate konnte ich auch beim Wettbewerb «Schweizer-Jugend-Forscht» einem breiteren Publikum vorstellen.
Im Bachelor habe ich Maschineningenieurwissenschaften mit Vertiefung Energietechnik an der ETH in Zürich studiert. Als ich dann meine Bachelorarbeit über Blasendetektion in Flüssigsalzreaktoren am Labor für Kernenergiesysteme schrieb, war es um mich geschehen: Das Masterstudium in Kerntechnik war für mich offensichtlich. Bis heute ist meine Faszination für Radioaktivität und Kerntechnik ungebrochen.
Was sagen ihre Freunde zu Ihrer Ausbildung?
Im deutschsprachigen Raum reicht die erste Reaktion von Verwunderung über Sorge bis hin zu Ablehnung. Verwunderung, dass man das überhaupt noch studieren kann; Sorge, ob man da noch einen Job kriegt und Ablehnung, dass man sich für eine solche Technologie einsetzt. Im angelsächsischen Raum hingegen ist Kerntechnologie eine Selbstverständlichkeit und wird von der breiten Bevölkerung unterstützt, wie ich bei einem dreimonatigen Forschungsaufenthalt in den USA feststellen konnte. Dort musste ich mich nicht ein einziges Mal rechtfertigen, weshalb ich denn Kerntechnik studiere. Ähnlich verhält es sich mit meinen Kollegen aus den nordeuropäischen Ländern oder aus dem asiatischen Raum. Die Reaktionen widerspiegeln also im Allgemeinen die vorherrschende Haltung gegenüber Kernenergie im jeweiligen Land.
Die Kernenergie wird oft als Dinosauriertechnologie bezeichnet – wie sehen Sie das?
Dies sehe ich entschieden anders. Zum einen wurden die meisten alternativen Energiequellen wie Wasserkraft, Windkraft, Photovoltaik aber auch Kohle- und Gaskraft wesentlich früher von der Menschheit erschlossen. Die Kerntechnik ist also eine relativ junge Technologie, die der Menschheit erst seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zur Verfügung steht. Zum anderen wird auf der der ganzen Welt intensiv an neuen zukunftsweisenden kerntechnischen Anlagen geforscht. So ist beispielsweise die Entwicklung von kleinen modularen Reaktoren in den USA und Hochtemperaturreaktoren in China bereits weit fortgeschritten und entsprechende Reaktoren dürften noch in diesem Jahrzehnt kommerziell eingeführt werden. Des Weiteren liefert die Kerntechnologie essenzielle Beiträge in der Erforschung von Fusionsreaktoren, in der Nuklearmedizin, im Strahlenschutz, in der geologischen Exploration oder in der Erforschung unseres Sonnensystems. Ich bin davon überzeugt, dass diese vermeintliche Dinosauriertechnologie noch lange einen wertvollen Beitrag für unsere Gesellschaft leisten wird.
Wie haben Sie das Masterstudium an der ETH erlebt?
Das Masterstudium in Nukleartechnik ist ein Joint-Masterprogramm von der ETH Zürich und der EPF Lausanne. Im ersten Semester an der EPFL stehen Grundlagenkurse in Reaktortechnik, Neutron- bzw. Plasmaphysik, Teilchenbeschleuniger, Strahlenbiologie und natürlich die Reaktorexperimente am Versuchsreaktor CROCUS im Zentrum. In den zwei weiteren Semestern an der ETHZ und am Paul Scherrer Institut (PSI) kann man sich in den Bereichen Reaktortechnik, Thermohydraulik, Strahlenschutz, Nuklearmedizin, Materialforschung, Strahlendetektion, Rückbau und Endlagerung spezialisieren. Im Praktikum und über die Semester- und Masterarbeit können die Studierenden zudem praktische Erfahrungen in der Kerntechnik sammeln. Das Masterstudium ist also unglaublich abwechslungsreich und eröffnet viel Spielraum für die Entfaltung von individuellen Interessen. An ETHZ, EPFL und PSI wird in der Kerntechnik Spitzenforschung auf Weltniveau betrieben. Auch die enge Zusammenarbeit mit Industriepartnern wie beispielsweise der NAGRA und den Kernkraftwerken Gösgen, Beznau sowie Leibstadt sind ideale Voraussetzungen für eine spätere Tätigkeit im akademischen sowie industriellen Bereich. Die Forschungsgruppen sind zudem weltweit mit anderen Topuniversitäten wie dem MIT über Forschungskooperationen verbunden. Dies ermöglicht den Studenten horizonterweiternde Forschungsaufenthalte im Ausland. Davon durfte ich selbst während meiner Masterarbeit profitieren.
Was konkret möchten Sie jetzt nach dem Studium arbeiten?
Ich werde diesen September ein Doktorat am PSI beginnen. Dabei werde ich an der Messung von Gammastrahlung aus der Luft in Zusammenarbeit mit dem ENSI, der NAZ, RUAG Space, Mirion sowie der Schweizer Luftwaffe arbeiten. Darauf freue ich mich sehr.
Was wünschen Sie sich für die Energiezukunft der Schweiz?
Ich wünsche mir einen Wandel in der Diskussionskultur: Weg von argumentativen Grabenkämpfen mit ideologischen Scheuklappen hin zu einer offenen und faktenbasierten Debatte über die Energiezukunft der Schweiz. Wichtige Stimmen aus der Forschung und aus internationalen Organisationen wie beispielsweise der internationalen Energieagentur oder dem Weltklimarat empfehlen, die Kernenergie zu fördern und nicht gegen die erneuerbaren Energietechnologien auszuspielen. Die Kernenergie hat das Potential, einen wesentlichen Beitrag bei der Dekarbonisierung der Energieversorgung zu leisten und gleichzeitig die Versorgungssicherheit und Netzstabilität zu erhalten. Innovationen wie die modularen Reaktoren reduzieren zudem Bauzeit und Kapitalkosten signifikant. Damit steigt die Wirtschaftlichkeit der Reaktoren. Lebenszyklusanalysen, die von renommierten Instituten wie dem MIT oder dem PSI durchgeführt wurden, haben gezeigt, dass Kernenergie eine vergleichbare oder gar geringere Belastung für unsere Umwelt bezüglich CO2-Ausstoss, Land und Ressourcenverbrauch darstellt als erneuerbare Energietechnologien. Es ist deshalb verantwortungslos, einen Atomausstieg während einer fortschreitenden Klimaerwärmung zu fordern und gleichzeitig den Bau von Kohle- oder Gaskraftwerke für die Bereitstellung der Grundlast in Kauf zu nehmen. Ich sehe da aber auch die akademische Forschung und die Industrie im Bereich Kerntechnik in der Verantwortung: Es liegt an uns, neue Erkenntnisse aus der Forschung der Bevölkerung nachvollziehbar zu vermitteln und die Gesellschaft von der Nachhaltigkeit sowie der Sicherheit neuer Kernkraftwerke zu überzeugen.