Von Kernkraft fasziniert
Macht es Sinn, in die Berufswelt eines Kernkraftwerks einzusteigen? Michael Kessler, Leiter Asset-Management bei Axpo Nuclear, gibt Auskunft.
Herr Kessler, was hat Sie dazu bewogen, in einem Kernkraftwerk zu arbeiten?
Nach 14 Jahren bei Siemens auf der Lieferantenseite hatte ich Lust, einmal am Ort des Geschehens zu arbeiten, im Kraftwerk selber, wo man spüren kann, wie der Strom entsteht. Und die Kernkraft sprach mich an. Ich bin davon überzeugt, dass sie eine super Stromtechnologie ist, klimafreundlich und ressourcenschonend. Es gibt mit Abstand keine zweite Art der Stromerzeugung, mit der man auf so kleinem Raum so viel Energie erzeugen kann. Schliesslich ist das Kernkraftwerk Leibstadt die zweitgrösste Energiequelle in der Schweiz – nach der Sonne!
Was prägt die Arbeit in einem Kernkraftwerk?
Ein Kernkraftwerk ist Spitzentechnologie und es braucht seine Zeit, bis man es versteht. Trotz meiner guten Vorbildung wurde ich zuerst vier Monate in eine Schulung geschickt, bevor ich im KKL anfangen konnte zu arbeiten. Gerade wegen dieser Komplexität sind eine hohe Fachkompetenz und Teamwork sehr wichtig. Die gute Zusammenarbeit mit den richtigen Fachexperten ist grundlegend und ihre Koordination kann herausfordernd sein. Und überall sind immer wieder grosse Lösungsorientierung und hoch spezialisierte Entwicklungen gefragt. Zudem sind alle Arbeiten vom Sicherheitsgedanken geprägt. Der Schutz der Bevölkerung und Umgebung ist oberstes Ziel bei jeder Arbeit. Die Sicherheit steht immer vor der Wirtschaftlichkeit. Deshalb bewegen wir uns auch in einem stark regulierten Umfeld. Es muss stets zuverlässig und präzis nach umfassenden Regelwerken gearbeitet werden. Wir stehen zudem im öffentlichen Interesse. Wer im Kernkraftwerk arbeitet, muss sich auch privat Diskussionen stellen können.
Was spricht für die Arbeit in so einer Anlage?
Hier arbeiten Leute aus sehr unterschiedlichen Fachgebieten sehr eng zusammen. Das erstreckt sich vom Brennstoff über den Strahlenschutz und Bautechnik, Erdbeben- und Sicherheitsanalysen, Maschinen- und Elektrotechnik bis zur Chemie – eine von aussen nie erwartete Vielfalt an Mitarbeitenden mit hoher fachlicher Expertise. Aus- und Weiterbildung werden stark gefördert. Für aufgeschlossene Menschen ist das schon ziemlich cool. Wir agieren auch auf nationaler und internationaler Ebene. Wer im Kernkraftwerk arbeitet, ist daher in der Regel auch gut mit den anderen Schweizer Anlagen sowie international vernetzt. Wir tauschen uns länder- und betreiberübergreifend intensiv aus zu technischen Fragen, Forschung und Entwicklung sowie Regulierung. Zeitweise Einsätze in anderen Anlagen sind gängig, auch im Ausland. Das alles finde ich sehr spannend. Zudem bieten die Kernkraftwerke attraktive soziale Anstellungsbedingungen und eine hohe Arbeitsplatzsicherheit.
Bietet ein Kernkraftwerk auch kreative Arbeit?
Im Betrieb der Anlage ist vor allem der zuverlässige Einsatz nach bestehenden Vorschriften nötig, wie in der Flugindustrie bei den Piloten, die auch nach sehr strengen Vorschriften arbeiten. An anderer Stelle kann Kreativität wichtig und nötig sein, auch weil die Anlagen laufend an den Stand der Nachrüsttechnik angepasst werden müssen. Zum Beispiel haben unsere Fachleute vor wenigen Jahren den Aussenrand des Kühlturmbeckens und damit die Luftströmung optimiert und so erreicht, dass wir allein durch verbesserte Kühlung die Stromproduktion deutlich steigern konnten. Aktuell beschäftigt uns das Thema Schwingungsüberwachung im Bereich Pumpen, Aggregate und Motoren. Auch hier ermöglicht die rasante technische Entwicklung kreative Anpassungen an der Anlage. Aber gerade in unserem technischen Umfeld ist auch die Entwicklung als Organisation spannend. Wir setzen uns viel mit dem Thema Mensch und Organisation auseinander.
Was sind das für Menschen, die in einem Kernkraftwerk arbeiten?
Im Kernkraftwerk arbeiten sicherlich technikbegeisterte Menschen, die eine hohe Verbundenheit zur Anlage und dementsprechende Motivation haben. In den Kernkraftwerken sind es in erster Linie deutschsprachige Schweizer, aber auch viele Mitarbeitende aus Deutschland. Allerdings ist in den Fach- und Führungspositionen, z.B. im Analysebereich, aufgrund des internationalen Austauschs auch Englisch selbstverständlich. Hier sind auch Personen aus diversen europäischen Ländern und den USA tätig. Wir würden uns über mehr Frauen in der Kernenergie freuen und fördern Frauen, wo immer möglich. Nach einem grösseren Generationenwechsel in den letzten Jahren haben wir auch wieder viele jüngere Mitarbeitende an Bord.
Was muss ich also mitbringen für einen Job im Kernkraftwerk?
Was wir immer erwarten, ist zuverlässiges, exaktes, systematisches und verantwortungsbewusstes Denken und Handeln sowie ausgeprägtes Qualitätsbewusstsein. Aufgeschlossenheit, Team- und Kommunikationsfähigkeit sind extrem wichtig, weil wir, wie erwähnt, viel eng zusammenarbeiten und uns gut verstehen müssen. Es braucht die Fähigkeit, systematisch zu denken, aber auch offen und kritisch zu hinterfragen. Je nach Arbeitsgebiet ist die Bereitschaft nötig, unregelmässig zu arbeiten, z.B. im Schichtbetrieb, oder während der Jahreshauptrevision auch mal einen Extragang zuzulegen, selbst zu untypischen Arbeitszeiten. Ich habe aber noch nie erlebt, dass diese Bereitschaft gefehlt hat. Weil im Kernkraftwerk ein hohes Sicherheitsdenken zwingend ist, sollte man sicher auch ein hohes Verantwortungsbewusstsein mitbringen.
Wie betrifft die Radioaktivität die Mitarbeitenden?
Ich habe 14 Jahre bei Siemens gearbeitet und war dabei viel im Flugzeug auf Reisen. Meine persönliche Strahlenbelastung ist signifikant gesunken, seit ich im Kernkraftwerk arbeite. Hier ist Strahlung für die meisten Mitarbeitenden gar kein Thema, da es keine zusätzliche Belastung gibt. Der Schutz vor Radioaktivität ist umfassend. Und bei strahlenexponierten Mitarbeitenden findet ein penibles Strahlungs- und Gesundheitsmonitoring statt. Jeder Mitarbeitende weiss jederzeit, wie viel Strahlung er aufgenommen hat und wie weit er vom strengen, gesetzlich erlaubten Maximalwert entfernt ist. Niemand ist Dosen ausgesetzt, die gesundheitsschädlich sind. Wer viel fliegt oder raucht, bekommt mehr
Strahlung ab. Aber je nach Tätigkeit sind aufgrund der Radioaktivität für spezielle Tätigkeiten Schutzmass-
nahmen nötig, wie Helm, Handschuhe, Overalls und Masken. Respekt vor der Anlage ist immer angebracht.
Was nehmen Sie mit aus Ihren Jahren im Kernkraftwerk?
Ich konnte mich persönlich in der Technik weiterentwickeln, aber nicht zuletzt auch im Bereich Kommunikation und in juristischen und finanziellen Belangen. Und ich habe sehr viel gelernt, das im technischen Studium gar nicht berücksichtigt wurde. Hier habe ich auch erfahren, was wirklich gute Instandhaltung ist und ein tiefes Verständnis der Anlage gewonnen. Nun freue ich mich darauf, noch anlagenübergreifender und strategischer zu arbeiten, beispielsweise auch im Bereich Zwischenlagerung und Entsorgung.
Lohnt es sich, angesichts des schrittweisen Ausstiegs der Schweiz aus der Kernenergie in die Kernkrafttechnik einzusteigen?
In der Schweiz soll noch während Jahrzehnten mit Kernenergie Strom erzeugt werden. Und nicht nur im Betrieb, sondern auch in der Stilllegung und Entsorgung wird es über viele Jahre attraktive Arbeitsplätze mit hohem technischem Anspruch geben. Wer einmal im Kernkraftwerk gearbeitet hat, beherrscht zudem seinen Job mit Sicherheit sehr gut. Das weiss man nicht nur in der Energiebranche, sondern in der ganzen Industrie. Die technische Entwicklung geht zudem weiter. Kernenergie hat Zukunft. Viele Länder setzen wieder verstärkt auf Kernenergie, nicht zuletzt, um die Abhängigkeit von fossilen Energien zu reduzieren. Mir persönlich scheint es grundverkehrt, angesichts des Klimawandels die leistungsstärksten klimafreundlichen Kraftwerke vom Netz zu nehmen oder die Technologie ganz zu verbieten. Gerade im Hinblick auf die sichere Versorgung der Schweiz mit klimafreundlicher Energie brauchen wir die Kernkraftwerke mehr denn je.
Hier finden Sie das PDF zur Broschüre "Arbeiten im Kernkraftwerk - Berufe mit Zukunft", in der dieses Interview enthalten ist.