"Ein Stück Schweizer Industrie- und Technikgeschichte"
Was meint Roland Schmidiger, stv. Kraftwerksleiter, zum 50 Jahr-Jubiläum und zur Zukunft des Kernkraftwerks Beznau?
Herr Schmidiger, das Kernkraftwerk Beznau feiert heuer 50 Jahre Betrieb. Was bedeutet dies für Sie persönlich?
Ich bin unseren Vorgängern im KKB, aber auch dem Axpo Management dankbar. Sie haben in der Vergangenheit für die Entwicklung des Werks die richtigen Weichen gestellt und damit ermöglicht, dass das Kraftwerk auch heute noch sicher und wirtschaftlich betrieben werden kann. Unsere Mitarbeitenden haben über die Jahrzehnte Grosses geleistet, stets eine hohe Professionalität und ein überdurchschnittliches Engagement an den Tag gelegt. Mit der Inbetriebnahme vor 50 Jahren wurde nicht nur ein halbes Jahrhundert klimafreundliche, CO2-freie Stromproduktion sichergestellt, sondern auch ein Teil Schweizer Industrie- und Technikgeschichte geschrieben. Das erfüllt mich mit Stolz.
Was hat sich seit der Inbetriebnahme alles verändert?
Vieles! Wir haben mit ständiger Instandhaltung, umfassenden Nachrüstungen und Modernisierungen die Sicherheit und die Zuverlässigkeit der Anlage im Vergleich zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme weiterentwickelt und erhöht. Es hat in den letzten Jahrzehnten viele Entwicklungen in der Technik gegeben. Ohne all die Nachrüstungen und Ersatzinvestitionen könnten wir heute die beiden Blöcke kaum mehr betreiben. Unterdessen steht die dritte Generation von Mitarbeitenden im Einsatz. Nicht nur das Werk, sondern auch der Umgang der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter untereinander hat sich über die Jahre weiterentwickelt. Wir gehen heute noch bewusster mit dem Thema Sicherheit um und entwickeln es laufend weiter – nicht zuletzt im Bereich Arbeitssicherheit. Etwas ist aber über die fünfzig Jahre geblieben: die enge Verbundenheit aller Mitarbeitenden mit dem Werk und das Bewusstsein, Teil einer grossen Familie zu sein.
…und gesellschaftlich?
Wir haben in den letzten Jahrzehnten auch vielfältige Änderungen im Umfeld unserer Arbeit hinnehmen müssen. Die Kernenergie ist umstrittener denn je und der Ausstieg aus dieser Technologie von Politik und Gesellschaft beschlossen. Medien und Öffentlichkeit fokussieren sich derart auf unsere Branche, dass vielfach aus «jeder Mücke ein Elefant» gemacht wird. Aus unternehmerischer Sicht ist die Kernenergie aktuell kein Teil der Strategie der Zukunft. Wir legen aber Wert auf den sicheren Langzeitbetrieb unserer Werke. Dazu wenden wir erhebliche finanzielle Mittel auf. Bisher haben wir uns hauptsächlich auf den Betrieb der Anlagen konzentriert. Mit Blick auf die künftige Ausserbetriebnahme machen wir uns heute jedoch schon Gedanken über den Rückbau des Werks.
Wie ist das heute, in einem der ältesten noch in Betrieb stehenden KKW der Welt zu arbeiten?
Es ist grossartig, im KKB zu arbeiten. Natürlich feiern wir das 50-jährige Bestehen der Anlage. Aber dies können wir nur, weil wir in den letzten Jahrzehnten das Werk ständig modernisiert und auf dem Stand der Nachrüsttechnik gehalten haben. Selbstverständlich gibt es noch einzelne Komponenten, die aus der Zeit der Inbetriebnahme stammen. Es gibt aber kaum ein System, das nicht ausgetauscht, ergänzt, erneuert oder - ausgehend vom ursprünglichen Design der Anlage - zur Erhöhung der Sicherheit, angepasst wurde. Wir sind zwar eines der dienstältesten Kraftwerke weltweit, weisen aber eine entsprechend grosse Betriebserfahrung auf. Dies wirkt sich auch positiv auf die Sicherheit des Werks aus. Wir sprechen deshalb eher von einem der erfahrensten Werke weltweit. Wir kennen die Anlage und das Verhalten bis ins letzte Detail und können gut damit umgehen. Mit jedem Betriebsjahr kommt Know-how hinzu. Letztlich zeigt sich dies auch in der hohen Verfügbarkeit der Anlage. Die Zuverlässigkeit der Anlage ist im internationalen Vergleich bemerkenswert.
Wie erleben Sie das Jubiläum? Wie ist das Echo aus dem Bekanntenkreis und in der Region?
Die Rückmeldungen, die ich erhalten habe, sind durchwegs positiv. Die Bevölkerung ist interessiert. Wir haben noch nie so viele Führungen durchgeführt wie in den letzten Wochen und Monaten – auch mit Journalisten. Die Jubiläumsführungen waren, wie Tickets eines Rolling Stones-Konzerts, innerhalb kürzester Zeit ausgebucht. Wir haben daraufhin Zusatzführungen angeboten, die ebenfalls alle ausgebucht sind. Die meisten Personen sind vom Zustand des Werks beeindruckt. Ihre Reaktionen sind weit weg von den abschätzigen Kommentaren der Kernenergiegegner. Letztere haben auch in diesem Jahr vereinzelt Aktionen durchgeführt, denen wir mit der nötigen Professionalität begegnen.
Wie sehen Sie die Zukunft der Anlage?
Axpo plant, die beiden Blöcke des KKB so lange weiter zu betreiben, wie dies sicher und wirtschaftlich möglich ist. Der Weiterbetrieb hängt einerseits von technischen Gegebenheiten und andererseits auch von den regulatorischen und politischen Rahmenbedingungen sowie vom Marktumfeld ab. Sicher ist, dass wir alles Mögliche tun werden, um die punkto Sicherheit und Wirtschaftlichkeit ins Kraftwerk gesteckten Erwartungen zu erfüllen. Danach werden wir die Anlage mit derselben Sorgfalt und Professionalität ausser Betrieb nehmen und zurückbauen.
Welche Aufgaben stehen für Sie persönlich an?
Meine Aufgaben als Leiter der Abteilung Projektierung und als Stellvertreter des Kraftwerksleiters werden bis zum letzten Tag die Gleichen bleiben. Dazu gehört die Realisierung von komplexen Projekten und ganz allgemein mein Beitrag zum sicheren und zuverlässigen Betrieb der Anlage. Zentral ist auch die Weiterentwicklung der Sicherheitskultur. Schliesslich darf man auch das Bewältigen all der kleinen und grösseren Herausforderungen nicht vergessen, denn kein Tag ist wie der vorhergehende. Das Bewusstsein für unsere Arbeit muss weiterhin hochgehalten werden. Unsere Belegschaft arbeitet auch in dieser Hinsicht vorbildlich: Sie lebt den sicherheitsgerichteten Beznau-Spirit jeden Tag!
Wie sehen Sie die Rolle der Kernenergie in der aktuellen Klima- und Energiepolitik in der Schweiz?
Ich denke, dass die Kernenergie angesichts ihrer CO2-freien Produktion weiterhin einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten kann: Kernenergie ist Teil der Lösung und nicht Teil des Problems! In der Schweiz hat die Bevölkerung im Mai 2017 zwar den Kernenergieausstieg beschlossen. Die Schweizer Kernkraftwerke werden aber bis gegen Mitte des Jahrhunderts eine wichtige Rolle zur Wahrung der Versorgungssicherheit des Landes spielen. Die Kernenergie wird damit in den nächsten Jahrzehnten eine wichtige Brückenfunktion erfüllen, bis die erneuerbaren Energien genügend ausgebaut sind. Selbstverständlich müssen für diesen absehbaren Langzeitbetrieb aber entsprechend akzeptable regulatorische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen gegeben sein.
Sehen Sie eine Zukunft für die Kernenergie, in der Schweiz und weltweit?
Die Kernenergie dürfte es in der Schweiz auf absehbare Zeit schwer haben, da die gesellschaftliche und politische Akzeptanz nicht gegeben ist. Auch denke ich, dass die Deindustrialisierung und die Weiterentwicklung Europas in eine Dienstleistungsgesellschaft das Weiterbetreiben der bestehenden Anlagen immer stärker zu einer Herausforderung machen. Weltweit sieht die Situation aber anders aus: Die Kerntechnik wird teilweise mit neuen Konzepten vor allem im asiatischen Raum weiterentwickelt und ausgebaut. Falls in der Schweiz jemals wieder ein neuer Reaktor stehen wird, dann wird er wohl nicht von einem europäischen oder US-amerikanischen Erstausrüster stammen.